Bernoulli-Experiment und Bernoullikette

Ein Bernoulli-Experiment ist ein Zufallsexperiment mit genau zwei möglichen Ergebnissen. Einfachstes Beispiel: Ein Münzwurf mit dem Ergebnis „Wappen“ oder „Zahl“.

Das hört sich zunächst nach einer starken Einschränkung an, die nicht einmal ein normaler Würfel erfüllen kann. Aber das stimmt nicht, denn man kann aus jedem Zufallsexperiment ein Bernoulli-Experiment machen. Ein Kind, das beim Spiel Mensch-Ärgere-Dich-Nicht eine Figur ins Spiel bringen will, schaut nur darauf, ob der Würfel eine 6 zeigt oder nicht.

Und genau das untersucht ein Bernoulli-Experiment: Es unterscheidet nur, ob ein festgelegtes Merkmal erfüllt ist oder nicht. Diese beiden möglichen Ausgänge werden manchmal als „Treffer“ und „Niete“ bezeichnet, aber das soll keine Wertung darstellen, sondern nur beschreiben, dass das festgelegte Merkmal eingetreten ist („\overline T“) oder nicht ($\overline T$, sprich: „nicht $T$“ oder „$T$ quer“).

Die Ergebnismenge eines Bernoulli-Experimentes hat also immer genau zwei Elemente, und eines dieser beiden Ergebnisse tritt ein:

  1. Eine faire Münze wird geworfen und festgestellt, ob „Wappen“ oder „Zahl“ sichtbar ist. Die Ergebnismenge ist $S=\{W,\overline W\}$. Wir lesen $\overline W$ als „nicht W“ und meinen damit, dass das Ergebnis nicht Wappen ist.
  2. Ein fairer Würfel wird geworfen und festgestellt, ob eine 6 fällt oder nicht. Die Ergebnismenge ist $S=\{6,\overline 6\}$.
  3. Ist ein neugeborenes Baby ein Junge oder nicht? Die Ergebnismenge ist $S=\{J,\overline J\}$. Spätestens hier zeigt sich, dass „Treffer“ und „Niete“ es nicht immer korrekt beschreiben. Es geht nur darum, ob das Merkmal „Junge“ erfüllt ist oder nicht.

Wahrscheinlichkeiten im Bernoulli-Experiment

Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Ergebnisses „Treffer“ wird mit $p$ bezeichnet. Da es nur zwei Ergebnisse gibt, hat das Ergebnis „Niete“ dann die Wahrscheinlichkeit $1-p$.

  1. Eine faire Münze fällt mit Wahrscheinlichkeit $p=\frac 12$ auf „Wappen“. Die Wahrscheinlichkeit für „Zahl“ ist $q=1-\frac 12=\frac 12$.
  2. Die Wahrscheinlichkeit für eine 6 beim Würfeln ist $p=\frac 16$. Die Gegenwahrscheinlichkeit ist $q=1-\frac 16=\frac 56$.
  3. Die Wahrscheinlichkeit für eine Jungengeburt können wir nicht berechnen, sondern nur statistisch durch Nachzählen ermitteln. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 408.490 Jungen und 387.027 Mädchen geboren. Insgesamt sind das 795.517 Babys, also war die relative Häufigkeit einer Jungengeburt $$\frac{408.490}{795.517}=0,513$$ Diese Zahl nehmen wir näherungsweise als Wahrscheinlichkeit einer Jungengeburt.

Bernoullikette

Wenn wir ein Bernoulli-Experiment mehrmals hintereinander in gleicher Weise durchführen, nennen wir das eine Bernoullikette. Es gibt zwei wichtige Eigenschaften, die eine Bernoullikette erfüllen muss:

  1. Die Trefferwahrscheinlichkeit $p$ ist in jedem Durchgang dieselbe. Das ist bei einer Münze oder einem Würfel regelmäßig erfüllt. Bei Kugeln in einer Urne gilt es in der Regel nur, wenn die gezogene Kugel nach dem Ziehen jedesmal wieder zurückgelegt wird.
  2. Die Anzahl der Versuche ist von vornherein festgelegt und nicht vom Zufall abhängig. Wir bezeichnen diese Anzahl mit $n$.

Beispiel: Mensch-Ärgere-Dich-Nicht

Das Spiel beginnt: Lasse darf bis zu dreimal würfeln. Bei einer 6 bringt er eine Figur ins Spiel. Ist dieses Experiment eine Bernoullikette?

Die Wahrscheinlichkeit für eine 6 ist bei jedem Würfelwurf gleich, nämlich $p=\frac 16$. Also ist die erste Bedingung erfüllt. Aber die Anzahl $n$ der Versuche ist nicht festgelegt. Wenn Lasse beim ersten Wurf eine 6 würfelt, bringt er eine Figur ins Spiel, und das Experiment ist beendet. Wenn nicht, würfelt er weiter. Das ist bei einer Bernoullikette nicht zulässig.

Beispiel: Sechsen zählen

Lene spielt etwas ähnliches: Sie würfelt dreimal und zählt, wie oft sie eine 6 erzielt hat. Dies ist eine Bernoullikette, denn Lene würfelt auf jeden Fall dreimal und notiert in jedem Versuch, ob sie eine 6 erzielt hat oder nicht. Es ist $n=3$ und $p=\frac 16$.

Eine Bernoullikette ist durch die Angabe von $n$ (Anzahl der Versuche) und $p$ (Trefferwahrscheinlichkeit) eindeutig festgelegt. Wenn du den Verdacht hast, dass ein Versuch eine Bernoullikette ist, bestimme zunächst $n$ und $p$. Du brauchst sie, um die Aufgabe zu lösen. Und wenn es dir nicht gelingt, ist es viellleicht gar keine (entweder weil $n$ zufallsabhängig ist oder $p$ sich mit den Versuchen ändert).

Treffer zählen in der Bernoullikette

Wir schauen uns das letzte Beispiel noch einmal an: Lene würfelt dreimal und zählt, wie oft sie dabei eine 6 erzielt. Wir wollen uns die möglichen Ergebnisse anschauen:

  • Wenn sie ganz viel Glück hat, würfelt sie 666, erzielt also drei Treffer. $666$ ist ein Pfad im Baumdiagramm, und nach der ersten Pfadregel werden die Wahrscheinlichkeiten entlang eines Pfades multipliziert. Die Wahrscheinlichkeit für 666 ist also: $$\frac 16\cdot\frac 16\cdot\frac 16=\left(\frac 16\right)^3$$
  • Vielleicht würfelt sie nur zweimal eine 6 und einmal keine 6. Um dies zu erreichen, gibt es mehrere Möglichkeiten: $66\overline 6, 6\overline 66,\overline 666$. Die Wahrscheinlichkeit für $66\overline 6$ ist: $$\frac 16\cdot\frac 16\cdot\frac 56=\left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1$$ DIe Wahrscheinlichkeit für $6\overline 66$ ist: $$\frac 16\cdot\frac 56\cdot\frac 16=\left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1$$ DIe Wahrscheinlichkeit für $\overline 666$ ist: $$\frac 56\cdot\frac 16\cdot\frac 16=\left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1$$ Jeder Pfad mit zwei Treffern hat also die gleiche Wahrscheinlichkeit. Nach der zweiten Pfadregeln werden die Wahrscheinlichkeiten verschiedener Pfade addiert. Also beträgt die Gesamtwahrscheinlichkeit für zwei Sechsen: $$\left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1+\left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1+\left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1=3\cdot \left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1$$
  • Mit welcher Wahrscheinlichkeit erzielt Lene nur eine 6? Es gibt folgende Ergebnisse, die dieses bewirken: $6\overline 6\overline 6, \overline 66\overline 6, \overline 6\overline 66$. Die Wahrscheinlichkeit für $6\overline 6\overline 6$ ist $$\frac 16\cdot\frac 56\cdot\frac 56=\left(\frac 16\right)^1\cdot\left(\frac 56\right)^2$$ Diesmal fassen wir uns etwas kürzer und stellen fest, dass alle drei möglichen Ergebnisse die gleiche Wahrscheinlichkeit haben. Damit beträgt die Gesamtwahrscheinlichkeit für genau eine 6: $$3\cdot \left(\frac 16\right)^1\cdot\left(\frac 56\right)^2$$
  • Keinen Treffer kann Lene nur durch das Ergebnis $\overline 6\overline 6\overline 6$ erzielen. Dieses hat die Wahrscheinlichkeit $$\left(\frac 56\right)^3=1\cdot\left(\frac 16\right)^0\cdot\left(\frac 56\right)^3$$

Wir erkennen schon einige Regelmäßigkeiten, die wir nun in eine schöne Formel gießen wollen.

Wahrscheinlichkeit für k Treffer bei n Versuchen

Wir betrachten eine Bernoullikette der Länge $n$, d.h. mit n Versuchen. Die Trefferwahrscheinlichkeit in jedem einzelnen Versuch sei $p$. Nun fragen wir, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir bei diesen $n$ Versuchen genau $k$ Treffer erzielen. Dabei ist $k$ eine Zahl zwischen 0 und $n$. Die Zahl der Fehlversuche ist dann $n-k$, und die Wahrscheinlichkeit für einen Fehlversuch ist $1-p$.

Wir tun zunächst so, als ob wir zuerst die $k$ Treffer erzielen und dann die $n-k$ Fehlversuche. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Pfad ist $$\underbrace{p\cdot\ldots\cdot p}_k\cdot\underbrace{(1-p)\cdot\ldots\cdot(1-p)}_{n-k}=p^k\cdot(1-p)^{n-k}$$
Nun haben wir gesehen, dass wir die Abfolge von Treffern und Nieten noch verändern können, aber jeder Pfad die gleiche Wahrscheinlichkeit hat. Die Frage ist nur noch: Wie viele solche Pfade gibt es?

Dies ist eine der Grundformeln der Kombinatorik: Aus $n$ Elementen werden $k$ ausgewählt, die wir als Treffer deklarieren. Und die Anzahl der $k$-elementigen Teilmengen einer $n$-elementigen Menge ist $$\binom nk$$
Damit haben wir alles zusammen für unsere Formel, die wir die Bernoulli-Formel nennen:

Die Bernoulli-Formel

In einer Bernoullikette der Länge $n$ mit der Trefferwahrscheinlichkeit $p$ beträgt die Wahrscheinlichkeit für genau $k$ Treffer $$\binom nk\cdot p^k\cdot(n-k)^{1-p}$$ Wir wollen noch eine Schreibweise hinzufügen, mit der wir erklären, dass wir die Anzahl der Treffer bestimmen. Man könnte nämlich auch andere Merkmale betrachten, z.B. den größten Wert. Mehr dazu im Artikel „Zufallsgrößen“. Hier begnügen wir uns damit, dass wir eine Zufallsgröße $X$ einführen, die zu jedem möglichen Ergebnis des Zufallsexperimentes die Anzahl der Treffer bestimmt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Größe $X$ den Wert $k$ annimmt (dass es also genau $k$ Treffer gibt), bezeichnen wir dann mit $P(X=k)$. Und wie wir diese berechnen, haben wir eben als Bernoulli-Formel hergeleitet: $$P(X=k)=\binom nk\cdot p^k\cdot(n-k)^{1-p}$$ Dabei ist $p^k\cdot(n-k)^{1-p}$ die Wahrscheinlichkeit eines einzelnen Pfades mit $k$ Treffern und $\binom nk$ die Anzahl solcher Pfade.

Beispiel: Lasse würfelt dreimal mit einem fairen Würfel. Mit welcher Wahrscheinlichkeit würfelt er genau zweimal eine 6?

Es handelt sich um eine Bernoullikette mit $n=3$ und $p=\frac 16$. DIe Zufallsgröße $X$ bezeichnet die Anzahl der Sechsen. Die Wahrscheinlichkeit für $k=2$ Treffer ist $$P(X=2)=\binom 32\cdot\left(\frac 16\right)^2\cdot\left(\frac 56\right)^1$$
Nachdem man sich in einer Matheaufgabe davon überzeugt hat, dass eine Bernoullikette vorliegt und $n$, $p$ und $k$ bestimmt hat, lässt sich die Formel sehr intuitiv anwenden, indem man im Kopf schon ein bißchen mitrechnet, denn die Werte für $n-k$ und $1-p$ lassen sich meist schnell im Kopf berechnen.

Wie geht es weiter?

  • Wir wollen uns noch genauer anschauen, was es mit der Zufallsgröße $X$ auf sich hat. Was bedeutet es, wenn wir sagen, $X$ ist binomialverteilt?
  • Wie können wir Wahrscheinlichkeiten bestimmen, wenn es nicht um eine einzelne Trefferzahl geht, sondern um ein ganzes Intervall, z.B. $P(13\le X\le 37)$?

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